Doku des Alltags: BD München

(Mühldorf –) Neumarkt-St. Veit – Landshut / Neumarkt-St. Veit – Passau

Neumarkt-St. Veit
km 77,3 (v. Rosenheim) / km 92,2 (v. Passau) / km 0,0 (n. Landshut)

1.) Neumarkt-St. Veit liegt noch in Oberbayern. Etwa 6 Streckenkilometer weiter gelangt man nach Niederbayern.

Der Bahnhof Neumarkt-St. Veit verfügt über ein großes dreiteiliges Empfangsgebäude in Backsteinbauweise. Neben dem Hausbahnsteig gibt es einen Mittelbahnsteig und somit drei Bahnsteiggleise. Nach Norden hin trennen sich die Strecken nach Landshut und Passau. Vom Passauer Streckenast zweigt etwa 2 km weiter die nur noch im Güterverkehr betriebene Nebenbahn nach Frontenhausen-Marklkofen ab, die ursprünglich den Hauptstrang bildete, als die Strecke noch durchgängig bis Pilsting verlief.

Der Bahnhof vermittelt die Atmosphäre von Weltabgeschiedenheit. Wenn kein Zug kommt liegt die Anlage wie verlassen in der Sommersonne. Aber gehegt und gepflegt wird er. Das sieht man am Blumenschmuck an allen Ecken und Enden.

Kursbuchmäßig liegt der Bahnhof heute an zwei Linien:
KBS 945 Landshut – Mühldorf – Salzburg
KBS 946 Mühldorf – Pfarrkirchen – Pocking – Passau

Früher waren es drei:
KBS 427g Mühldorf – Pfarrkirchen – Pocking – Passau
KBS 427k Landshut (Bay) – Mühldorf (Oberbay) – Freilassing – Salzburg
KBS 427q Plattling – Landau (Isar) – Mühldorf (Oberbay)

2.) In unregelmäßigen Abständen wird die Stille von Dieselgeräuschen unterbrochen. 218 356 ist am 22. Juli 1988 mit dem E 3453 von Landshut nach Freilassing unterwegs. Es ist 11:02 und um 11:15 wird Mühldorf erreicht sein. Abfahrt in Landshut war um 10:28, Ankunft in Freilassing wird um 12:17 sein. In Mühldorf wird der Zug die Fahrtrichtung wechseln und dort sechs Minuten Aufenthalt haben.

Auf der KBS 945 Landshut – Freilassing sind im Sommerfahrplan 1988 werktags 2,5 Eilzugpaare unterwegs, die die Strecke auf ihrer gesamten Länge befahren. Die restlichen Nahverkehrszüge bedienen jeweils nur den Nord- und Südabschnitt, mit Umsteigebahnhof Mühldorf. Teilweise mit sehr langen Aufenthaltszeiten. Eilig durfte man es nicht haben.

Die Kilometrierung des hier sichtbaren km 77,2 beginnt in Rosenheim mit 0,0 und führt über Wasserburg Bahnhof (km 25,7), Mühldorf (km 61,7) und Neumarkt-St. Veit (km 77,3) eben nicht nach Landshut, sondern nach Pilsting (km 121,1) an der Strecke Landshut – Plattling. Dieser Abschnitt hatte im Gegensatz zu den beiden in Neumarkt-St. Veit abzweigenden Strecken nach Landshut und Passau im Personenverkehr nie große Bedeutung. Seit 1969 endet die Strecke in Frontenhausen-Marklkofen mit dem km 102,7. Der Personenverkehr dorthin wurde 1970 eingestellt, der Güterverkehr 2018. Seit 2024 ist der Abzweig in Elsenbach rückgebaut.



Auf Bild 2 ist der km 77,2 zu sehen. Die Kilometrierung stammt aus der Zeit der Bayerischen Ostbahn und hat ihren Nullpunkt im Bahnhof Rosenheim.

Die Strecke Rosenheim - Mühldorf Pilsting (- Landau) wurde in zwei Teilstücken zwischen 1875 und 1876 von der Bayerischen Ostbahn AG eröffnet. Hintergrund des Streckenbaus war die Schaffung einer Nord-Süd-Verbindung Brenner - Böhmen mit der München umfahren werden konnte, was sich aber auf Dauer nicht bewährte. Diese Relation hat schon lange keine Bedeutung mehr.

Die Lage in der Topografie macht aber noch heute deutlich, dass die Landshuter Strecke "eigentlich" in Neumarkt-St. Veit abzweigte vom durchgehenden Hauptstrang nach Pilsting.

3.) Bald darauf folgt dem Eilzug ein mit Doppeltraktion geführter Ganzzug aus Schotterwagen. Vorgespannt ist 218 322, dahinter am Zug die 218 348. Den Zug fotografierte ich schon zuvor vor der Abfahrt in Landshut Hbf. Der fünfzehnte Wagen rollt gerade über die Trennungsweiche, wo es nach links nach Landshut geht und nach rechts nach Passau. Der im Hintergrund sichtbare Rottenkraftwagen steht auf dem Passauer Streckengleis. Rechts im Bild das Fahrdienstleiterstellwerk Nrf.

Neumarkt-St. Veit ist einer der Bahnhöfe im östlichen Oberbayern, der schon sehr früh auf Drucktastentechnik umgestellt wurde. Das Stellwerk der Bauart Sp Dr S59 wurde 1963 in Betrieb genommen und dementsprechend zeitgenössische Lichtsignale installiert. Am 28. September 2008 wurde es ausser Betrieb genommen. Seither wird der Bahnhof Neumarkt-St. Veit vom ESTW Mühldorf gesteuert.

Der letzte dampfgeführte Güterzug von Landshut nach Mühldorf kam übrigens am 26. Mai 1972 durch Neumarkt-St. Veit. Gezogen wurde er von 050 063-4.

(Abbildung des letzten dampfgeführten Güterzuges: Bufe - Die Eisenbahn in Niederbayern, S. 111)

4.) Ein Blick auf das Empfangsgebäude von Norden her betrachtet. Während sich die Gleisanlagen weit nach Süden hin erstrecken, laufen am Nordkopf die Gleise unmittelbar nach dem Bahnsteigende zusammen. Auf Gleis 2 ist das Ausfahrtsignal aufgrund des geringer werdenden Lichtraumprofils am Weichenbogen ein Stück zurückversetzt.

7.) Um die Mittagszeit rollen 798 765 und 998 766 als Leerzug aus Mühldorf heran. Als Nto 6905 wird das Zweiergespann um 12:35 die zweieinhalbstündige Fahrt über die 97,2 km lange Rottalbahn antreten. Dabei werden 19 Zwischenhalte eingelegt und es stehen zwei Zugkreuzungen an, um 13:17 in Pfarrkirchen (km 63,1) mit dem N 6904 (gezogen von 211 279) und um 14:00 in Pocking (km 34,6) mit dem N 6906 von Passau nach Pfarrkirchen (gezogen von 212 082). Der Aufenthalt in Pfarrkirchen beträgt 10 Minuten, in Pocking 12 Minuten. Hebertsfelden wird als einzige Station ohne Halt durchfahren.

In Neumarkt-St. Veit gibt es ein BayWa- und ein Raiffeisen-Lagerhaus direkt nebeneinander. Wer sich für die Geschichte der landwirtschaftlichen Genossenschaften in Bayern interessiert, dem sei dieser Link empfohlen: historisches-lexikon-bayerns.de

8.) Es ist nun 12:12, bis zur Abfahrt bleibt der Uerdinger jetzt erstmal noch 23 Minuten stehen. 798 765 wurde am 10.03.1960 in Dienst gestellt. Seine Stationierungsdaten sind: Bw Braunschweig 10.03.1960 - 02.05.1982, Bw Rosenheim 03.05.1982 - 27.09.1987, Bw Mühldorf 27.09.1987 - 09.03.1989. Nach seiner Ausmusterung gelangte er zur TCDD.

5.) 211 278 kommt 10 Minuten vor Plan mit der Übergabe 68820 aus Eggenfelden. Auf der Rottalbahn herrscht umfangreicher Güterverkehr. Trotz der z. T. sehr engen Kurvenradien können die Güterzüge schon mal ziemlich lang sein. Neben der 211 wird auch die 218 im Güterverkehr eingesetzt, aber auch Kleinloks der Reihen 333 und 323. Ab 1989 kommt verstärkt die Baureihe 212 auf den Plan, die einen Neuzugang beim Bw Mühldorf darstellt.

Auch die 23,2 km lange Strecke nach Frontenhausen-Marklkofen wird rege mit Übergabezügen bedient. Bereits 1970 verlor diese Strecke ihren Personenverkehr, nachdem das 18,4 km lange Verbindungsstück bis Pilsting an der Strecke Landshut – Plattling schon im Jahr davor stillgelegt wurde.

Um ein Beispiel zum Personenverkehr zu bringen: 1962 gab es ein durchgehendes Eilzugpaar Plattling – Rosenheim. Der E 1162 verließ Plattling um 6:47, und bog um kurz nach 7 Uhr im Bahnhof Pilsting bei Landau ohne Halt von der Strecke Plattling – Landshut auf die Nebenbahn ab. Um 8:00 war er dann in Neumarkt-St. Veit und um 8:13 in Mühldorf und erreichte seinen Zielort Rosenheim um 9:43. Zurück ging es ab Rosenheim um 19:05 mit einer Ankunft in Plattling um 21:45. Die restlichen 4 Personenzugpaare hatten ihren südlichen Wendepunkt in Mühldorf, liefen aber alle ab/bis Plattling. Der nachmittägliche P 1167 fuhr sogar von Mühldorf bis Deggendorf Hbf. Denkbar wäre es, daß diese Leistung 1962 bereits mit Diesel gefahren wurde, da das Bw Rosenheim zum Jahresbeginn 1962 die ersten V 100 zugeteilt bekam.

211 278 gehörte seit 28. Mai 1978 zum Bw Mühldorf. Dort blieb sie bis 1992 und wanderte dann noch für 3 Jahre nach Hagen-Eckesey. Von Krauss-Maffei gebaut wurde sie am 6. April 1962 von der DB abgenommen, war bis 4. Februar 1965 in Plattling beheimatet und danach in Passau.

Das Bw Mühldorf hatte 1987 noch 25 Loks der Reihe 211 im Bestand, zum 1.1.1989 waren es dann nur noch elf. Im Gegensatz dazu nahm der Bestand der Baureihe 212 zu.

9.) Um 12:27 hat auf Gleis 3 Einfahrt der N 6416 Mühldorf - Landshut, gezogen von 218 351. Wenn er um 13:05 Landshut erreicht haben wird, dann wird der Nto 6905 gerade Gern-Altenburg verlassen haben und Pfarrkirchen ansteuern, wo die erste Zugkreuzung stattfinden wird. Dieser N 6904 ist nun um 12:27 gerade zwischen Pocking und Karpfham unterwegs.

10.) Nun rückt auch für den Nto 6905 die Abfahrtszeit näher. Bei den hochsommerlichen Temperaturen wird durchaus mit offenen Türen gefahren.

11.) Gleich wird der Lokführer die beiden Motoren anwerfen und danach vom Zugführer ein sonores "Abfahrn" zugeraunt bekommen, nachdem dieser gepfiffen hat. Dann wird der Schienenbus losknattern, über die Weichen klappern und seine fast 100 km lange Reise antreten.

12. + 13.) Eine bunte Garnitur verlässt an diesem Sommertag um 12:07 den Bahnhof Neumarkt-St. Veit. Der E 3465 Landshut – Freilassing bei der Ausfahrt Richtung Mühldorf. 218 320 läuft mit der hinteren Garnitur im Leerlauf mit, da der blau-beige ABm-Wagen nicht wendezugfähig ist. 218 320 wurde mit den beiden Wagen in Landshut an den Wendezug gehängt. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine Überführungsfahrt.

218 320 wurde später unter dem Namen "Lotte" bekannt.

14.) Wenige Minuten kommt die Lok mit der nächsthöheren Betriebsnummer angefahren: 218 321 mit einem Eilzug, normalerweise aus Passau, an diesem Tag jedoch wegen baustellenbedingter Streckenunterbrechung aus Pfarrkirchen. Die Regelfahrzeit ab Passau wäre bei 2 Stunden und 12 Minuten gelegen, von Pfarrkirchen her hat er nur eine halbe Stunde gebraucht.

15.) Die meisten lokbespannten Züge auf der Rottalbahn bestehen nur aus zwei Wagen. Grundsätzlich fahren sie in Neumarkt in beiden Richtungen auf Gleis 2 ein, welches vor dem Rückbau des eigenen Gleises bis zum Abzweig Elsenbach das Hauptgleis für die Rottalbahn war.

16.) Nach kurzem Aufenthalt röhrt 218 321 wieder los und malt ein schönes V in den Himmel über Neumarkt-St. Veit. Bis 2002 hatte sie ihren ursprünglichen TB 11-Motor. Danach erhielt sie einen R40-Motor ebenfalls von MTU mit 16 Zylindern, der allerdings nicht ganz so leistungsstark ist wie der TB 11.

In Mühldorf war sie von 17.11.1977 bis 09.04.2001 beheimatet. Gegenwärtig (03/2016) wird sie noch von Westerland (Sylt) aus eingesetzt.

17.) Straßenseite des dreiteiligen Empfangsgebäudes. Der Baustil entspricht der niederbayerischen Bahnhofsarchitektur. Stilprägende Elemente wie Dachform und Fenster sind auch auf Bahnhöfen der Waldbahn zu sehen, wie z. B. in Deggendorf Hbf.

18.) Auf einem Mauersims des Mittelbaus steht auf der Bahnsteigseite noch der ursprüngliche Bahnhofsname: Neumarkt an der Rott. Inzwischen wurde die Aufschrift wie auch das Gebäude restauriert.

19.) Aufgang zum holzgedeckten Bahnsteig der Gleise 2 und 3. Bis in die 1980er Jahre hinein gab es einen zweiten Inselbahnsteig an den Gleisen 4 und 5. Mit der Spurplanvereinfachung an der nördlichen Ausfahrt wurde dieser entfernt.

20.) Die Gleisseite des Gebäudes mit den Ausfahrtsignalen der Gleise 1 und 2.

21.) 212 194 bei der Einfahrt mit der Übergabe aus Pfarrkirchen auf Gleis 5.

1991 hat die 212 die 211 schon weitgehend verdrängt. Wenige Jahre zuvor zählte der 211-Bestand in Mühldorf noch 25 Fahrzeuge, 1991 war er schon auf sieben Maschinen geschrumpft. Dafür unterstanden dem Bw Mühldorf nun 31 Loks der Reihe 212. Eine Anzahl, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Darunter befanden sich auch 212 015 und 212 017, die noch Kühlergrill der 211 besaßen, mit waagrechten Lamellen hinter dem Gitter.

22.) Am rechten Bildrand erneut der erste Wagen des Güterzuges. 212 194 wird abgekuppelt und rollt, von Rosen eingerahmt, über die süd­westliche Ausfahrt nach Gleis 7.

23.) Dort stand, von anderen Güterwagen bisher verdeckt, 212 209, die nun mit 212 gekuppelt wieder Richtung südwestlicher Ausfahrt fährt. Vermutlich bringen sie nun einen längeren Güterzug nach Mühldorf.

24.) Wiederum als Leerzug bringt 212 036 etwas verspätet den N 6907 aus Mühldorf, der aus 3 Wagen besteht. Gegenüber 1988 gab es im Fahrplan 1991 einige Änderungen. Der 6907 ersetzte den 10 Minuten vorher fahrenden 6905. Die Abfahrt des 6907 sollte schon um 12:45 sein. Der Zug fuhr an diesem Tag nur bis Pfarrkirchen, dort hieß es dann in den Straßen­bus umsteigen. Grund waren Streckenbauarbeiten zwischen Pfarrkirchen und Birnbach, weshalb die Strecke unterbrochen war. In Birnbach wartete dann schon eine sechs­teilige Schienen­bus­garnitur und zwar bestehend aus einer Mühldorfer 798/998/998-Einheit und einer Hofer 796/996/996 Einheit! 212 036 war von 1989 bis 2001 beim Bw Mühldorf und ist auch heute noch munter für DB Service im Einsatz.