Doku-des-Alltags: Allgäubahn und Mittelschwabenachse
1.) Der Bahnhof Grafrath im Herbst 1989. Das Empfangsgebäude in Form des "bayerischen Würfels" hat nur ein Obergeschoß. In dem flachen Anbau links ist der Wartesaal und der Fahrkartenschalter untergebracht. Die Modernisierungsmaßnahmen der 1960er Jahre waren identisch mit denen vom Fürstenfeldbrucker Bahnhofsgebäude. Ein umlaufendes, flaches Vordach mit schlanken Stützen und der Stellwerksanbau.
Die Gemeinde Grafrath erstreckt sich vom Tal bis hier hinauf zum Bahnhof. Unten an der Amper gibt es die Wirtschaft "Zum Dampfschiff", die noch an die Schifffahrt auf der Amper erinnert. Von 1880 bis 1939 gab es einen Linienverkehr von Grafrath nach Stegen am Ammersee, um Ausflügler die mit der Bahn ankamen zum Ammersee zu befördern.
Die Linie war im Reichsbahn-Kursbuch unter der KBS 403b Dampfschiffahrt auf dem Ammersee und der Amper aufgeführt. Der hier eingesetzte Klein-Raddampfer hieß "Marie Therese", Spitzname Mooskuh.
2.) Blick auf die Gleisanlagen Richtung Osten. Nach dem Bau der Hochbahnsteige blieb noch ein Stück des alten Bahnsteigs samt Beleuchtung. Rechts zwei schmucke Eisenbahnerwohnhäuser, die sich auch heute noch schön renoviert präsentieren.
Die durchgehenden Streckengleise sind Gleis 1 (Ri Geltendorf) und 3 (Ri München), Gleis 2 ist Überholgleis in beiden Richtungen. Grafrath war in den ersten Jahren des S-Bahnbetriebes östlichster Einsatzpunkt der Augsburger 515. Es gab diverse Zubringerleistungen Landsberg – Kaufering – Geltendorf (Anfangs mit 795, dann 515, später mit 627.1) und darüber hinaus den Nt 4811 Buchloe 16:03 – 16:38 Grafrath (Sommer-Fpl 1977). Dieser Nt 4811 ist hier kurz vor der Abfahrt in Kaufering zu sehen. In Grafrath bestand Anschluss an die S-Bahn um 16:49. Retour ging es wohl bis Geltendorf leer und dann um 17:53 als Nt 4718 zurück nach Buchloe.
3.) Zurück ins Jahr 1971, ein knappes Jahr bevor der S-Bahnbetrieb aufgenommen wurde. Am 9.4.1971 steht 141 092-7 mit einem Wendezug am noch neuen Hochbahnsteig von Gleis 2. Der Zug war um 16:48 als N 3949 München Hbf – Grafrath angekommen. Der Zug ist [hier] mit Hasenkasten-Steuerwagen voran zwischen Fürstenfeldbruck und Buchenau zu sehen.
Hinter dem ersten Wagen spitzen die Dächer der beiden Eisenbahnerhäuser hervor.
4.) Die Uhr rechts zeigt genau 17 Uhr. Rückfahrt nach München Hbf ist um 18:07 als N 3916.
5.) Weitere Ansicht mit 141 092 am neuen Bahnsteig. Die Lok war von ihrer Abnahme am 27.10.1959 bis 14.5.1971 beim Bw München Hbf beheimatet und wechselte dann nach Frankfurt.
6.) Nun ist es Zeit für den Eilzug nach Singen. Einfahrt von 221 105 mit dem E 1630 München – Singen auf Gleis 1. Der Zug legt um 17:10 in Grafrath seinen planmäßigen Halt ein.
Der Isartalbahner hat die Akkustik des ankommenden Zuges wunderbar in Worte gefasst: Beim Singener mit der V 200 war noch kurz Vollast zu hören, dann runterschalten - fernes Rollgeräusch. Leichtes Bremsgeräusch - dann war er schon zu sehen. Beim dicken Busch hinterm Fahleitungsmast Einleitung volle Bremsung, hörste ja bei Klotzbremsern recht gut. Lokvorbeifahrt mit rund 60 km/h.
Beheimatungen der V 200.1 ( ab 1.1.1968: 221) beim Bw Kempten:
V 200 101: 28.11.1962 – 26.01.1971
V 200 102: 10.01.1963 – 13.04.1971 und 26.08.1972 – 10.09.1973
V 200 103: 11.01.1963 – 14.05.1974
V 200 104: 19.01.1963 – 14.05.1974
V 200 105: 02.02.1963 – 14.03.1974
V 200 106: 02.02.1963 – 31.03.1975
V 200 107: 13.02.1963 – 11.04.1975
V 200 108: 20.02.1963 – 25.04.1975
V 200 126: 06.07.1972 – 2.07.1972
V 200 135: 21.04.1965 – 31.05.1975
V 200 136: 07.05.1965 – 09.05.1975
V 200 137: 08.05.1965 – 09.05.1975
V 200 138: 15.05.1965 – 21.05.1975
V 200 139: 12.06.1975 – 05.10.1965
V 200 140: 02.06.1965 – 05.06.1975
V 200 141: 16.06.1965 – 05.06.1975
V 200 142: 23.06.1965 – 17.06.1975
V 200 143: 06.07.1965 – 10.06.1975
Quelle: revisionsdaten.de
7.) Kurz nach dem Halt des E 1630 eilt in der Gegenrichtung auf Gleis 3 eine 118 mit einem Zug gen München. Kein Halt in Grafrath, sondern Durchfahrt mit bestimmt 100 km/h. Demnach scheiden die beiden möglichen Planzüge in diesem Zeitraum, N 2589 München – Memmingen (Traktionswechsel in Geltendorf, ab 17:07 / Grafrath ab 17:16) oder N 3914 Geltendorf – München (Geltendorf ab 17:31 / Grafrath ab 17:39), aus.
Auffällig ist, dass nicht nur die Wagenreihung, sondern auch Stellung und Optik der Wagen absolut identisch ist mit dem vorderen Zugteil des hier [www.drehscheibe-online.de] auf Bild 22 am selben Tag zu sehenden längeren N 2590 München – Kempten (Geltendorf an 16:07, dort Traktionswechsel auf Diesel) mit 118-Doppelbespannung:
- Packwagen, Stellung Dienstabteil westseitig
- AByse, Stellung A-Abteil und Zuglaufschild westseitig
- folgend heller Silberling
- folgend dunklerer Silberling
Von der Zugbildung her nichts ungewöhnliches, so sahen viele Züge ins Allgäu damals aus, was aber die Äußerlichkeiten der Wagen angeht, könnte das auch der nach München rückkehrende Verstärker-Zugteil des oben erwähnten Zuges sein. Der 9.4.1971 war der Karfreitag, vielleicht war im Kloster St. Ottilien, nahe bei Geltendorf eine kirchliche Veranstaltung, wofür der N 2490 bis nach Geltendorf verstärkt wurde.
Zu den drei links auf dem Ladegleis abgestellten n-Wagen:
Möglicherweise ist die Garnitur für den frühmorgendlichen Verstärkerzug von Grafrath: N 3930 Grafrath ab 4:21 / Mü Hbf an 4:49.
Aber der fuhr nicht nur werktags! Er hat den Vermerk e = täglich außer Sa, auch 26. XII., 1. V., nicht 24., 31. XII.
Wenn "täglich", heisst das wohl auch, dass er am Karfreitag fuhr.
Die Rückleistung wäre dagegen nur werktags ausser Sa: N 3903 Mü Hbf ab 5:19 / Grafrath an 5:56 (oG / ohne Gepäckbeförderung) --> dann Abstellung, weil alle nachfolgenden Züge nach Grafrath dort gleich wieder wendeten.
Meine These wäre, dass die Garnitur am Karfreitag trotzdem als Leerzug zurück nach Grafrath fuhr, damit in der Woche nach Ostern der Umlauf wieder passte.
8.) Ein 420er verlässt im Sommer 1989 den Bahnhof Grafrath nach Geltendorf. Grafrath hat an beiden Bahnhofsköpfen ein Bahnwärterhaus, die heute noch beide existieren.
9.) Die Unterführung am südwestlichen Bahnhofskopf stammt noch aus der Frühzeit der Strecke. Die hier sichtbare Trennlinie im Bogen zeigt, dass sie zur Hälfte gemauert ist und der erweiterte Bereich aus Stampfbeton beteht. Die 1873 eröffnete Strecke Kaufering – München war zunächst nur eingleisig, 1907 erfolgte der zweigleisige Ausbau und damit auch notwendige Brückenerweiterungen.
10. + 11.) Das Überholgleis in die Mitte zu legen, um kein Streckengleis kreuzen zu müssen, war schon bei der Kgl. Bay. Staatsbahn weit verbreitet.
225 805 und 225 073 (218 005 und 215 073), die mit einem umgeleiteten Güterzug aus Vils (Tirol) unterwegs sind, müssen nicht überholt werden, sie fahren auf dem durchgehenden Streckengleis 3 durch den Bahnhof.